Im Folgenden möchte ich eine Technik beschreiben, die mir ursprünglich unter dem Begriff „inneres Erforschen“ begegnet ist. Robert Gonzales hat diese Methode als „Dyade“ bekannt gemacht und sie zum Beispiel in seiner Bedürfnis-Meditation zur Anwendung gebracht. Von dort aus hat die Dyade als hilfreiches Werkzeug auch Eingang in die gewaltfreie Kommunikation nach Rosenberg gefunden.

Das Grundprinzip dieser Methode ist, dass sich zwei Menschen gegenüber sitzen, während eine Person über einen vereinbarten Zeitraum zu einem Thema spricht bzw. eine gestellte Frage beantwortet. Die zweite Person hört nur zu, ohne zu bewerten und ohne zu antworten. Sie ist einfach präsent, richtet ihre Aufmerksamkeit aktiv auf das Gesagte aus, „hält wohlwollend den Raum“ und vermeidet auch jegliche Rückmeldung in Form von Gestik oder Mimik.

Zu Beginn des inneren Erforschens kommen uns beim Beantworten der Frage oder der Auseinandersetzung mit dem Thema gewöhnlich Ideen, welche wir nicht weiter überraschend finden. Nach einer Weile, wenn das, was uns spontan dazu einfällt bereits gesagt wurde und wir länger in uns nachspüren, kommen Antworten aus den „tieferen Schichten“ unseres Bewusstseins. Um diese Antworten geht es. Durch das innere Erforschen können wir einen Zugang zu bereits in uns schlummernden Antworten auf bestimmte Fragen erhalten, die sich meist von unseren üblichen Antworten auf diese Fragen unterscheiden, bzw. über sie hinausgehen.
Nach der vereinbarten Zeit werden die Rollen getauscht.
Im Anschluss wird das Gesprochene nicht weiter thematisiert – weder mit Dritten (das sollte selbstverständlich sein), noch unter den jeweiligen Partner*innen beim inneren Erforschen. Die Antworten sollen einfach in uns nachhallen und nachwirken können.

Variationen

Basierend auf der oben beschriebenen Grundstruktur des inneren Erforschens sind mir folgende Varianten dieser Methode bekannt:

Variation des Zeitrahmens
Die vereinbarte Zeit kann von 5 bis 15 min variieren.

Variation der Frage-Antwort-Struktur
Es kann sein, dass die Frage nur ein einziges Mal am Anfang gestellt wird und die Person, die spricht, sich dann die ganze Zeit über immer wieder selbst auf die Frage fokussiert und diese wiederholt beantwortet, während der Mensch, mit dem man die Übung durchführt, in der oben beschriebenen Weise zuhört.
Es gibt auch die Möglichkeit, dass die zuhörende Person immer dann, wenn wir die Frage beantwortet haben, „danke“ sagt und dann die gleiche Frage wiederholt, damit wir sie wiederum beantworten. Diese Variante ist mir bei der Arbeit mit dem Enneagramm begegnet und nennt sich „repetitive Frage“.

Variation der Gruppengröße
Das innere Erforschen funktioniert auch gut in einer Dreiergruppe: Dabei hören dann zwei Personen zu, während eine Person spricht.

Beispiele für die Anwendung

Bei der Bedürfnis-Mediation nach Robert Gonzales kann auf die beschriebene Weise erforscht werden, was ein bestimmtes Bedürfnis für uns bedeutet oder mit welchen Strategien wir versuchen, es uns zu erfüllen. Ein Bedürfnis wäre z.B. Autonomie.
Die zuhörende Person fragt dann: „Was bedeutet Autonomie für dich?“ oder „Wie lebst du Autonomie?“
Die sprechende Person spürt in sich hinein, welche Gedanken, Bilder, Emotionen, Gefühle, Körperempfindungen oder Erinnerungen kommen und teilt diese mit.
Dabei kann es gut sein, dass dieser Person einige neue Erkenntnisse über ihre eigenen Strategien und Bedürfnisse gewinnt.
Die zuhörende Person wiederholt die Frage immer dann, wenn längere Pausen entstehen.

Je nachdem was man innerlich erforschen möchte, können auch solche Fragen gestellt werden wie: „Wie behinderst du dich in deiner Selbstverwirklichung?“ oder ganz einfach auf den aktuellen Moment bezogen: „Was ist in dir gerade lebendig?“

Auch in Beziehungen kann diese Art von Austausch sehr hilfreich sein.
Dabei können wir unabhängig von unseren eigenen inneren Filmen erfahren, was in unseren Partner*innen vorgeht, was in ihnen gerade lebendig ist.
Vivian Dittmar beschreibt dies hervorragend in ihrem Buch: „beziehungsweise“ unter der Überschrift „Die Kunst des Zuhörens“. Sie nennt diese Form des Austausches „Unterstützendes Zuhören“ und gibt in ihrem Buch dazu auch eine genaue Anleitung.

Quellen:

Dittmar, Vivian: beziehungsweise. Beziehung kann man lernen. Edition est, München, 2017.
Gonzales, Robert: Dyaden: https://www.globaldyadmeditation.org/ und:
http://www.living-compassion.org/

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